Ende in Sicht

Mein letzter Wandertag startete grausam. Es regnete und meine Füße hatten sich scheinbar über Nacht nicht erholen können. Ab dem ersten Schritt hatte ich Schmerzen, wie nie zuvor. Wegen des Wetters gestalteten sich Pausen auch ein wenig schwierig, da es zum Einen schweinekalt wurde, sobald man stehen blieb und zum Anderen, der Hintern nass wurde, wenn man sich hinsetzen wollte. Das machte meine Fußschmerzen natürlich nicht besser. Dazu kam, dass der erste Teil des Weges wieder direkt mal über eine Stunde steil nach oben in den Wald führte. Welch eine Freude. Und am Aussichtspunkt angekommen, konnte man dann dank des Regens und des Nebels absolut nichts sehen. Die Bank war pitschnass, weshalb ich mich auch hier dagegen entschied, Platz zu nehmen.

Nach dem ersten Wald folgte ein zweiter Wald und ich schaute auf die Kilometeranzeige meines Handys. Ach du Schande, erst 10 Kilometer geschafft und ich musste noch 19 Weitere hinter mich bringen. Zum ersten Mal in den fünf Tagen, dachte ich, dass ich es nicht schaffen würde. Meine Füße taten so sehr weh und das Ziel lag in unendlich weiter Ferne. Warum hatte ich ausgerechnet jetzt diese Gedanken? Vielleicht hatte ich es die anderen Tage nicht zugelassen, weil ich wusste, dass noch einige Etappen folgen würden? Oder waren meine Schmerzen jetzt wirklich so viel schlimmer? Oder gerade weil ich wusste, dass ich mich auf der  Zielgeraden befand, dachte mein Inneres, es könnte sich jetzt hängen lassen? Ich weiß es  nicht. Jedoch selbst wenn ich wirklich hätte aufgeben wollen, es wäre ja doch nicht gegangen. Über dem ganzen Great Glen Way lag ein riesiges Funkloch. Es kam mir keine Menschenseele entgegen, der Weg befand sich im Nichts und ich war weit weg von einer richtigen Straße. Wenn man hier also auf der Stelle tot umfallen würde, würde es eine Weile dauern bis man gefunden würde. Man könnte ja auch nur mit einem Fahrrad oder Pferd abtransportiert werden. Ein Auto passt ja nicht auf den kleinen Trampelpfad. Da ich tot umfallen daher als Option ausschließen musste, blieb mir nichts anderes übrig als weiter zu laufen.

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Ich kann euch nicht sagen wie, aber ich habe es geschafft. Im strömenden Regen erreichte ich nach acht Stunden endlich das Inverness Castle.

Zum Schluss ein Fazit meines ersten Wanderabenteuers und Urlaubs allein: Ich hatte mir im Vorhinein mein Handy mit Musik und Hörbüchern bestückt, da ich fest damit rechnete, dass mir irgendwann bei zehn Stunden Wandern langweilig werden würde. Schließlich wird einem normalerweise schon auf der Busfahrt zur Uni langweilig und man benötigt das Handy. Alles Schwachsinn. Ich habe nicht mal einen Bruchteil angehört. Die Natur hat mich bespaßt und von Langeweile konnte überhaupt keine Rede sein.
Ich hatte mir außerdem vorgestellt, dass man ganz viel nachdenken würde, während man unterwegs ist. Ich erhoffte mir Geistesblitze, irgendwelche tollen Erkenntnisse oder grandiose Zukunftspläne. All das ist nicht eingetreten. Das einzige was ich gefühlt habe, war unendliche Freiheit. Ich tat das, was ich wollte und es fühlte sich so an, als wäre ich mir noch nie so sicher gewesen, dass ich genau den richtigen Weg eingeschlagen hatte.
Ich hatte noch nie sechs Tage am Stück so gute Laune. Es regt einen doch immer irgendetwas auf, selbst wenn es Kleinigkeiten sind, irgendwas findet man, worüber es sich zu beschweren gibt. Doch während meines Wanderurlaubs konnte mich nichts aus der Ruhe bringen. Trotz den schlimmsten Schmerzen oder unschönem Wetter, meine Laune konnte nicht beeinträchtigt werden. Wenn ich also zu einer Erkenntnis gekommen bin, dann dazu, dass ich so etwas unbedingt nocheinmal machen muss und das alleine Wandern total entspannent ist.

Ich bin in fünf Tagen insgesamt 150 Kilometer gelaufen. Es war eine kräftezehrende Herausforderung und doch der beste Abschluss für mein Jahr in Schottland. Ich bin unglaublich traurig, dass es vorbei ist, aber ich bin mir sicher, dass ich nicht das letzte mal hier war. Wie damals in Ghana, ist nun ein Teil von mir hier. Selbstverständlich, dass man da ab und zu mal nach dem Rechten schauen muss, oder?

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